Erster Teil
Zwei Tage lang waren sie bereits unterwegs. Zwei Tage lang schüttete es in Strömen, und der Wind riss an den dicken Wollmänteln, als wollte Milron persönlich ihnen die Kleider vom Leibe reißen. Zwei Tage lang war es, als würde die Sonne nie scheinen, als hätten die Götter ihre Meinung geändert und ihre Schützlinge wieder verlassen.
Jeder andere hätte hier wohl aufgegeben. Auf ein Versprechen nach Licht hin hatte sich die Reisegruppe in die Finsternis gestürzt, aber ein Versprechen kann nur so viel Wärme spenden, bis die Kleidung durchnässt und das Fleisch erfroren ist.
Armenius wollte nicht gerne zweifeln. Der Zweifel an seiner Berufung hatte ihn schon einmal in die Irre geführt, ihn dazu verleitet alles hinzuwerfen und auf die Dunkelheit zu warten. So schwach wollte er nie wieder sein. Dennoch zehrte es an ihm, wie Stimmen aus den Schatten. „Wozu das Ganze? Lass es doch bleiben. Die Schwarzberge erreicht ihr nie.“
Er blickte sich zu seinen Gefährten um. Erchbert blieb weiter stoisch, doch der Glanz seiner Rüstungsplatten unter den Mänteln und das Klappern seines Schwertes täuschten nur spärlich über die wachsende Müdigkeit in seinen Augen hinweg. Ob er innerlich auch so zerrissen war wie Armenius? Er blickte zum Marschall hinüber, doch unter dem Schopf aus rotem Haar blickte ihm nur Ratlosigkeit entgegen.
Armenius wandte sich zu seiner anderen Gefährtin. Johanna war ihr Name, und ihr machte das Wetter am meisten zu schaffen. Ihre langen blonden Haare peitschten ihr trotz einer Kapuze ins Gesicht, und sie hatte die Arme um sich geschlungen, in der Hoffnung, etwas Wärme zu behalten. Sie war eine zierliche Dame, und trotz ihres schweren Mantels befürchtete Armenius, sie würde jede Sekunde weggeweht.
Sein Blick schweifte schließlich auf ihren Anführer. Fürst Grimmbold von Wane, ein Mann von großer Statur und großen Taten, ihnen allen voraus durch den Sturm stapfend. Ihnen dreien hatte er von großen Visionen erzählt: von den Göttern erwählt wären sie, und sollten einen Segen erhalten, um gegen Milron zu kämpfen. Sie müssten nur zur heiligen Stätte Morolons in den Schwarzbergen kommen, um ihn zu erhalten.
Da waren sie nun, irgendwo zwischen der Durantshöhe und dem gelobten Land, und waren dem Sturm schutzlos ausgeliefert. Ein Schrei gellte in den Wind, und plötzlich lag Johanna am Boden. Armenius war sofort an ihrer Seite. Blaue Lippen, stark unterkühlt. Der Arzt erhob seine Stimme.
„Wir müssen umkehren, Grimmbold!“
Die große Gestalt drehte sich um, und erwiderte laut: „Das geht nicht! Wir müssen weiter, unser Ziel ist schon nah!“
Armenius wollte nicht gern zweifeln, aber das ging zu weit.
„Seid ihr wahnsinnig?! Johanna wird dieses Unwetter nicht überleben!“
Der Fürst trat einige Schritte auf seine drei Begleiter zu.
„Wir können nicht umkehren. Das hier ist ein Fluch Milrons. Wer hier nicht durchkommt, ist des Segens nicht würdig!“
Armenius verengte die Augen. „Ich hoffe um der Götter Willen das ich euch falsch verstanden habe!“
Da trat Erchbert vor. Sonst eher wortkarg und kontrolliert, schrie er nun in das Angesicht seines Fürsten: „Zum Henker mit diesem Segen! Ich lasse bestimmt diese arme Frau nicht zurück, nur um irgendwelche Gespinste von euch zu verfolgen!“ Er drehte sich zu Armenius um. „Kommt, helft mir einen Unterschlupf zu finden.“
Mit etwas Glück fanden sie eine Höhle Abseits der Straße, in der mit Müh und Not ein Feuer entfacht wurde. Aus den getrockneten Mänteln bastelte Erchbert ein Feldbett für seine Kameradin, die schon seit geraumer Zeit dem Bewusstsein fern war. Währenddessen konfrontierte Armenius seinen Fürsten am Höhleneingang.
„Wir können nicht weiter. Wir hätten auf besseres Wetter warten sollen, bevor wir auf diesen Irrsinn aufbrachen.“
Grimmbold erwiderte grimmig: „Das war nie eine Option. Dieser Sturm ist nicht natürlich. Er wäre so oder so gekommen, und er verschwindet erst, wenn wir an den Bergen ankommen.“
Mit einem endgültigen Ton in seiner Stimme sprach Armenius schließlich: „Das glaube ich nicht. Und selbst wenn, ich opfere kein Menschenleben für irgendeinen Gott. Würdet ihr für diese Macht einen Menschen opfern?“
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